Sprachen wir gestern nicht schon von Routine? Die ist inzwischen so fest etabliert, dass sie vermutlich ein eigenes Zelt hat. Allerdings verschieben sich unsere Zeiten langsam in den Bereich „völlig egal“. Kein Wunder – nach fünf Tagen Festival fühlt sich der Körper an wie ein leerer Akkupack mit Bier-Notstrom.
Heute haben wir es gegen halb zwölf geschafft, aus dem Zelt zu kriechen – was ungefähr so elegant war wie ein betrunkener Waschbär auf der Flucht. Und bis wir dann wirklich in die Gänge kommen, dauert’s halt länger als ein Gitarrensolo bei Iron Maiden. Aber hey, das ist Teil des Spiels.
Musikalisch ging’s – wie an den vergangenen zwei Tagen auch – um 13:50 Uhr los. Diesmal sollte Annisokay für uns der Auftakt sein.
Annisokay serviert Energie zum Frühstück
Schon bei den ersten Tönen war klar: Wir hatten unsere Entscheidung nicht bereut. Und offenbar waren wir nicht die Einzigen mit dieser Eingebung – der Platz vor der Bühne war ordentlich gefüllt, die Sonne knallte, und Annisokay legte los, als hätten sie das Festival persönlich geweckt. Der Auftritt war ein echtes Brett: druckvoll, präzise, mit einer Bühnenpräsenz, die selbst die letzten müden Gesichter im Publikum wachrüttelte.
Besonderes Schmankerl: Die Band filmte während des Gigs ein One-Shot-Video – wie schon zuvor auf dem Wacken. Laut eigener Aussage wolle man „mal sehen, welches besser wird“ – ein charmant-provokanter Seitenhieb an die Crowd, nochmal alles rauszuholen. Challenge accepted: Die Menge sprang, schrie und feierte mit voller Hingabe.
Zum Abschluss zündete die Band mit Calamity und STFU noch einmal ein musikalisches Feuerwerk, das keine Wünsche offenließ. Beide Songs kamen mit voller Wucht, präzise gespielt und emotional aufgeladen – ein letzter Adrenalinschub, der das Publikum noch einmal komplett mitriss. Die Trommelfelle vibrierten, die Hände flogen in die Höhe, und selbst die letzten Reserven wurden mobilisiert. Es war ein Finale, das uns nicht nur mit breitem Grinsen, sondern auch mit frischer Energie und einem ordentlichen Motivationsschub in den Tag entließ – bereit für alles, was noch kommen sollte.
Nach Annisokay standen wir vor der Wahl: Fiddler’s Green mit tanzbarem Folk-Rock und Geige im Galopp, oder Stellvris mit düsterem Post-Hardcore und atmosphärischem Tiefgang. Die Entscheidung fiel auf Stellvris – nicht nur wegen der intensiven Klangwelten, sondern auch, weil der Weg vom VIP-Gelände zur Wera-Stage erfreulich kurz war.
Stellvris entfesseln den Nachmittag
Stellvris sorgten am frühen Nachmittag für Bewegung – wortwörtlich. Frontfrau Miruna war nicht nur stimmlich präsent, sondern auch körperlich mittendrin: Sie sang aus dem Bühnengraben, sprang in die Menge, teilte das Publikum für eine Wall of Death – und ging sie dann selbst ab. Wenig später stand sie mitten im Circle Pit und performte mit einer Energie, die den Platz elektrisierte.
Musikalisch überzeugte die Band mit druckvollem Alternative Metal und Post-Hardcore-Einschlag: klare Vocals, präzise Riffs, und eine Bühnenpräsenz, die trotz Tageslicht Atmosphäre schuf.
Fazit: Stellvris lieferten eine Show, die nicht nur solide war, sondern durch Nähe und Aktion mitriss. Wer dachte, Nachmittagssets seien ruhig, wurde hier eines Besseren belehrt.
Stimmungsschub auf dem Battlefield – Fiddler’s Green
Wir verließen die Wera-Stage daher etwas früher und schlenderten rüber zum Battlefield, wo Fiddler’s Green bereits seit einer Weile spielten. Die Band war mitten im Set, und die Stimmung war spürbar ausgelassen. Das Feld war gut gefüllt, die Fans tanzten, klatschten und sangen mit – ein echtes Kontrastprogramm zum – für uns – eher nüchternen Auftritt davor.
Fiddler’s Green lieferten ihren typischen Mix aus Folk, Rock und Partylaune, mit viel Bewegung auf der Bühne und einem direkten Draht zum Publikum. Auch wenn wir nur einen Teil des Konzerts mitbekamen, war schnell klar: Hier hatten Band und Fans gleichermaßen Spaß – und wir auch.
Arising Empire Matinee – Accvsed & Revnoir auf dem Campfire Circus
Der Samstagabend auf dem Campfire Circus stand ganz im Zeichen des Arising Empire Matinee – einem Showcase, das nicht nur Labelpower demonstrierte, sondern auch musikalische Vielfalt und starke Live-Performances bot. Die Bühne war bereit, das Publikum gespannt, und die Atmosphäre vibrierte zwischen Vorfreude und Neugier.
Accvsed gehörten zu den Acts, die das Matinee mit einem kompromisslosen Set bereicherten. Ihr Sound: moderner Metalcore mit messerscharfen Breakdowns, aggressiven Shouts und melodischen Refrains, die sich direkt ins Ohr brannten. Die Band brachte eine rohe, ungeschönte Energie auf die Bühne, die sofort zündete. Kein Schnickschnack – nur ehrlicher, druckvoller Sound, der die Menge in Bewegung versetzte.
Die Fans waren zahlreich erschienen und machten vom ersten Ton an klar, dass sie nicht nur zum Zuschauen gekommen waren. Circle Pits, Mitsingmomente und eine spürbare Verbindung zwischen Band und Publikum sorgten für eine intensive Stimmung, die den Auftritt von Accvsed zu einem echten Highlight machte.
Revnoir übernahmen anschließend und setzten einen atmosphärischen Gegenpol. Ihr Sound war tiefgründiger, dunkler und emotionaler – eine Mischung aus Post-Hardcore, Alternative und elektronischen Elementen. Die Band spielte sich in einen Flow, der das Publikum nicht mit roher Gewalt, sondern mit subtiler Intensität fesselte.
Die stilistischen Unterschiede zwischen Accvsed und Revnoir machten es für uns besonders spannend. Zwei Bands, zwei unterschiedliche Ansätze – und beide überzeugten auf ganzer Linie. Für uns waren es zwei rundum gelungene Auftritte, die gezeigt haben, wie vielseitig und stark die aktuelle Szene aufgestellt ist.
April Art – Unerwartet mitreißend
Manchmal stolpert man auf einem Festival genau in die richtige Richtung. Wir kamen eher zufällig bei April Art vorbei – kein fester Programmpunkt, eher ein kurzer Zwischenstopp auf dem Weg zum nächsten Act. Doch was wir bekamen, war eine der positivsten Überraschungen des Tages.
April Art lieferten eine energiegeladene Show, die sofort ins Auge und ins Ohr ging. Die Band hatte offensichtlich selbst großen Spaß auf der Bühne – das war nicht nur zu sehen, sondern zu spüren. Frontfrau Lisa-Marie Watz strahlte, tanzte, sprang, suchte den Kontakt zur Crowd und ließ keine Sekunde ungenutzt, um die Stimmung weiter anzuheizen. Die Interaktion wirkte nicht einstudiert, sondern ehrlich und spontan – als würde die Band selbst gerade entdecken, wie gut dieser Moment funktioniert.
Musikalisch bewegten sich April Art souverän zwischen Alternative Rock, Metal und elektronischen Elementen. Druckvolle Beats, eingängige Hooks und eine klare Haltung prägten das Set. Auch ohne Vorwissen über die Band standen wir schnell mittendrin – und blieben bis zum Schluss.
Fazit: April Art haben uns live überzeugt, ohne dass wir sie vorher kannten. Eine dieser Festivalbegegnungen, die man nicht plant, aber nicht vergisst. Die Band hatte Spaß – und wir auch.
Kein Funke, kein Feuer – Primordial lassen uns kalt
Nach einer kleinen Pause ging es um 22:25 Uhr zu Primordial – eine Band, die wir lange nicht mehr live gesehen hatten und deren Auftritt wir uns trotz gewisser Skepsis nicht entgehen lassen wollten. Einst standen sie für kraftvollen Pagan Metal mit epischer Melodik, rauer Energie und einer unverkennbaren irischen Seele. Diese Phase hat uns damals tief beeindruckt und bleibt für uns das musikalische Herzstück der Band.
Doch was uns an diesem Abend erwartete, war eine andere Klangwelt: düster, schleppend, schwer verdaulich. Der Stilwechsel hin zu doomigen, zähen Kompositionen hat Primordial für uns jeglichen Reiz genommen. Auch der Gesang von Alan Averill alias Nemtheanga, der früher mitreißend und leidenschaftlich wirkte, kam diesmal eher pathetisch und überdramatisiert rüber – wir konnten damit schlicht nichts anfangen. Die Songs zogen sich, die Atmosphäre war bedrückend, und der Funke sprang zu keinem Zeitpunkt über. Selbst das Corpsepaint von Alan Averill wirkte irgendwie deplatziert – wie ein Relikt aus einer anderen Ära, das nicht mehr zum aktuellen Sound passen will.
Wir hatten das Gefühl, dass es vielen Leuten vor der Bühne ähnlich ging wie uns: verhaltene Reaktionen, kaum Bewegung, wenig Begeisterung. Ein zäher Auftritt, den wir uns rückblickend hätten sparen können.
Wir haben dann rechtzeitig zugesehen, dass wir von Primordial wegkamen – genug Doom für einen Abend. Auf der Mainstage spielte Kissin’ Dynamite, und irgendwie hatte es die Band auf unsere To-do-Liste geschafft. Warum eigentlich? Diese Frage stellten wir uns spätestens beim Eintreffen vor der Bühne.
Die Musik hatte einen deutlich powermetalligen Einschlag, mit viel Pathos, Stadiongesten und Hochglanz-Attitüde – alles Dinge, mit denen wir wenig anfangen können. Wahrscheinlich eine dieser Bands, die auf CD als Hintergrundbeschallung noch ganz okay funktionieren, aber live eher wie ein überambitionierter Soundtrack zu einem Bierwerbespot wirken. Immerhin: Laut war’s.
Imperial Triumphant – Goldene Masken, schwarzes Ritual
Nach Primordial war erstmal Pause angesagt. Die großen Mainacts reizten uns nicht, also verbrachten wir einige Stunden am Zelt. Erst später zog es uns wieder zur Rebel Stage – und zum Glück genau rechtzeitig.
Imperial Triumphant inszenierten sich wie Hohepriester eines dekadenten Untergangs. Goldene Masken, zeremonielle Gewänder, kaum Licht – stattdessen Schatten, Nebel und eine Bühne, die eher an ein altes Opernhaus im Verfall erinnerte als an ein Metal-Festival. Die Musiker wirkten wie Figuren aus einem expressionistischen Theaterstück: kontrolliert, unnahbar, fast statuarisch. Keine Ansagen, keine klassischen Showelemente – stattdessen ein düsteres Zusammenspiel aus Klang und Bild, das sich wie eine Zeremonie entfaltete.
Die Musik war komplex, dissonant, avantgardistisch – ein brodelndes Gemisch aus Black Metal, Jazz und Klangexperiment. Doch es war die visuelle Komposition, die den Auftritt zu etwas Besonderem machte. Jeder Lichtblitz wirkte wie ein gezielter Schnitt, jede Bewegung wie Teil einer Choreografie. Es war, als würde man einem dunklen Kult bei der Arbeit zusehen – und wir waren die stillen Beobachter.
Fazit: Wir sind froh, dass wir diesen Auftritt nicht verpasst haben. Imperial Triumphant lieferten kein Set, sondern ein Gesamtkunstwerk. Wer da war, weiß: Das war Theater, Ritual und musikalischer Wahnsinn in Gold und Schatten.
Die Apokalyptischen Reiter – Finale mit Feuer und Freiheit
Nach dem düsteren Ritual von Imperial Triumphant schlenderten wir langsam Richtung Mainstage – und gerieten direkt in den nächsten Kontrast. Die Apokalyptischen Reiter waren gerade dabei, die Bühne in bester Reiter-Manier zu zerlegen: laut, wild, mitreißend. Ein Sturm aus Energie, der sich nicht bitten ließ.
Wir blieben stehen – und blieben hängen. Die Mischung aus Melodik, Härte und hymnischer Wucht zog uns sofort wieder in ihren Bann. Die Reiter lieferten ein Set, das zwischen treibendem Metal, punkiger Direktheit und epischem Pathos pendelte. Songs wie „Wir sind das Licht“ oder „Es wird schlimmer“ wurden vom Publikum gefeiert, die Band wirkte spielfreudig, präsent und wie immer: kompromisslos.
Ein würdiger Schlusspunkt, der nicht auf Pomp setzte, sondern auf rohe Kraft und kollektive Ekstase. Für uns war das der letzte Act eines rundum gelungenen Festivals – und einer, der noch einmal alles bündelte, was Summer Breeze 2025 ausmachte: Vielfalt, Intensität und das Gefühl, genau im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein.